"Das Brot"- Ein Gedanke von mir, 1991 erstmals gedacht, jetzt noch einmal. Düster, viel Spaß kann ich nicht gerade wünschen.

"Das Brot"

Er ging die Treppe hinauf. Die steinerne Treppe, welche die Kinder immer hinauf mussten, um in die Klassenzimmer zu kommen. In eine alte Schule musste er gehen. Das man zur Schule gehen musste, war Vergangenheit. Er hätte nicht mit Bestimmtheit sagen

können, ob diese Vergangenheit lange zurück lag. Er war jedenfalls nicht zur Schule gegangen und aus dem Schulalter war er auch schon lange heraus. Wenn man ihn ansah, hätte man nicht sagen können, ob er alt oder schon sehr alt war. Verwittert sah er aus, und schmutzig. Aber was sollte man erwarten. Und er erwartete sowieso nichts mehr. Falsch. Natürlich erwartete er etwas. Das er von dieser Aufgabe erlöst wurde, und wenn dies geschehen war, erwartete er sein Ende. Und heute sollte es soweit sein. So war das und es war gut so.

Er ging weiter die Stufen hoch, hielt sich am Geländer fest und zog sich daran hoch. Bis zum Absatz hoch, auf dem die Schwingtür war. Bis hierher war er immer hochgestiegen. Bis zur Schwingtür, nie weiter. Dann sollte er immer das Brot vor die Tür legen, auch heute. Nur mit dem Unterschied, dass er heute, wenn er das Brot abgeliefert hat, durch die Tür gehen sollte. Gesagt hatte ihm das eigentlich niemand, aber er wusste, was man von ihm wollte. Oder die Gewissheit kam einfach aus der Tatsache, dass er nicht mehr zurückgehen brauchte, weil das draußen einfach nichts mehr war und damit nur der Weg nach vorn anzutreten war. Auch wenn der Weg durch die Schwingtür führen sollte.

Was ihm beim Gang durch die Schwingtür wirklich erwartete, wusste er nicht. Als die Kinder hier durchgingen, wussten sie, was sie erwartete. Schule. Lernen. Lernen für das Leben, lernen für die Schule, lernen für die Lehrer. Hier musste gelernt werden. Und wahrscheinlich ist auch aus diesem Grund dieser Ort gewählt worden. Hier, wo gelehrt wurde, sollte er weiterlernen.

Er hatte anderes gelernt. Kein Schulwissen mehr, sondern Lebenswissen. Sich durchzusetzen , um zu überleben. Er war nicht besonders gut, aber es hatte genügt für die Umstände, die auf der Erde herrschten, denn er war der letzte seiner Art und er war der letzte, der mit dieser Aufgabe betraut wurde. Und er hatte gelernt, diese Aufgabe zu erfüllen, dieser Aufgabe zu dienen. Er hatte die Gewissheit erlangt, dass der Mensch zwar lernen  und vielleicht viel wissen kann, aber in die Natur nicht mehr hineinpasste, da er seine Art des Lebens nie in Frage stellte. Das Instinktgeteuerte Lebewesen es einfacher haben, auch die letzten Lebewesen auf der Erde sein werden, auch wenn der Mensch meint, er wäre die Krönung der Schöpfung, was er vielleicht auch ist, aber überleben tut der Bauch und nicht das Hirn und das hatte der Mensch trotz allen Wissens nie begriffen. Der Verstand hat den Bauch verhungern lassen.

Die Rasse Mensch ist untergegngen, er als letzter übrig, mit der Aufgabe betraut, jeden Tag ein Stück Brot hierher zu bringen, hinzulegen und wieder hinaus zu gehen, zu kämpfen, um wieder ein Stück Brot zu erwischen. Das er immer was bekam, war ein Wunder. Nicht das er nicht fähig war, um Brot zu kämpfen. Nein, das Besondere war, dass niemand mehr da war, der Brot herstellte. Der täglich Kampf um dieses Stück Brot war nicht mehr der Kampf gegen einen Konkurrenten, sondern der Kampf, überhaupt etwas zu finden.

Er war auf dem Absatz. Er sah die Schwingtür. Doch da es noch nicht soweit war, betrachtete er sie nicht als etwas Beunruhigendes. Er griff in eine Tasche seiner Kleidung und seine Finger suchten nach dem Stück Essbaren, was er hatte auftreiben können. Er fühlte es und zog es heraus.

Es war natürlich kein Brot. Er hatte noch nie Brot gebracht. Brot gab es schon lange nicht mehr. Er kannte schon kein Brot mehr. Obwohl sein Auftrag lautete, Brot zu bringen, wurde alles akzeptiert, was er dort hinlegte. Es gab nie Schwierigkeiten. Es ist auch nie mitgeteilt worden, ob er viel oder wenig bringen sollte. Es war egal, auf solche Dinge kam es überhaupt nicht an, nur Nahrung sollte es sein. Unser täglich Brot gib uns heute. Das war der ganze Sinn. Genauso wie die Zeile symbolisch mit dem Brot die Speisen, die Nahrung allgemein meinte, so war sein Dienst dazu da, für die tägliche Nahrung zu sorgen. Unser täglich Brot gib uns heute. So wichtig diese Zeile war, sie wurde bald vergessen. Brot hatte man täglich, man mochte schon bald kein Brot mehr sehen, täglich schmeckte es schlechter.

Und bitten brauchte man sowieso nicht mehr. Wer war man denn. Früher hatte man sich an Instanzen gewendet, von denen man glaubte, abhängig zu sein, von denen man sich Wohlwollen erbitten müsste. Da man jedoch Mensch war, musste man unabhängig werden. Bald meinte man, dass niemand außer messbare Umstände die Ernte beeinflusst. Messbar, zwar nicht beherrschbar und unberechenbar, aber keine übergeordnete Instanz. Trotz dieses vermeintlichen Wissens und daraus entwickelnden Möglichkeiten bekam man nie alle Menschen satt. Die Speisung der fünf Milliarden fand nicht statt.

Dann wurde die Aufgabe gestellt und der Auftrag erteilt. Als er sie früh in seinem Leben erhielt, war ihm sofort klar, was er tun sollte und er begriff, das viele vor ihm mit dieser Aufgabe betraut worden waren, sie alle Glieder in einer langen Kette waren, sie alle um die Umstände dieser Aufgabe wussten, aber dieses Wissen nicht dazu angelegt war, irgendwelche Probleme zu lösen.

Er war nun der letzte Erfüllungsgehilfe. Er hockte, mit dem Gesicht zwischen den Knien, auf dem Absatz und Speichel floss aus seinem Mund. Er dachte an seine Rasse, von der er der letzte auf der Erde war. Einst hatte sich die Menschheit langsam und stetig vermehrt und durch das "Menschsein" die Oberhand auf der Erde erlangt. Sich nur langsam steigerndes Wissen, Kriege, natürlich Regularien sorgten dafür, dass die Menschheit nicht übermütig wurde. Als sich das Wissen anhäufte, natürliche Regularien kalkulierbarer und beherrschbarer wurden, vermehrte sich die Menschheit schneller. Nun musste schon viel Wissen aufgeboten werden, um alle zu ernähren. Die Menschheit wuchs heran, wollte nicht nur Brot, sondern auch andere Dinge, die das Leben lebenswert machten und die natürlichen Ressourcen der Erde  wurden in verstärktem Maße in Anspruch genommen. Es wurden immer mehr Menschen, die zusammengepfercht lebten, sich auf die Nerven gingen und es vermehrten sich die Kriege. Doch selbst diese Kriege vermochten die Vermehrung der Rasse Mensch nicht mehr aufhalten. Und alle wollte ein lebenswertes Leben und alle wollten Nahrung. Nun musste man sich schon anstrengen, einen Teil der Menschen überhaupt satt zu bekommen. einige Glückliche wurde fett, andere hungerten. Je mehr Menschen da waren, desto unglücklicher wurde der Einzelne. Sie wollte nicht anonym in der Masse stehen, verlangten Individualität und so musste produziert werden . Die natürlichen Rohstoffe der Erde wurden geplündert. Man verheizte die Kohle, Erdöl, Holz, raffte alle Rohstoffe von der Oberfläche der Erde, das Klima veränderte sich. Natürliche Regularien wie hungern und dann verhungern, Krankheiten,Seuchen, Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, alles war da, konnte jedoch die immense Vermehrung der Menschheit nicht aufhalten.

Als die Rohstoffe der Erde geplündert waren, das Wissen, wie weiter aber in der kurzen Zeit nicht mitgekommen war, denn man hatte alle Hände voll damit zu tun gehabt, das Chaos einigermaßen zu verwalten, ging es relativ schnell bergab. Die Menschheit zerfiel und Assfresser hatten reiche Beute. Als die Menschen eine Anzahl erreicht hatten, die vielleicht wieder einen Neuanfang hätten schaffen können, fehlten die Rohstoffe. Es ging nur noch um das Überleben zum Sterben. Denn jetzt war nicht der einst so reiche Planet Erde da, sondern es war eine kahle Kugel, auf die die Sonne einglühte, bei der die Atmosphäre kaputt war, auf der man auf Felsen herumrutschte. Die letzten Gruppen fielen auseinander, nachdem sie sich wegen der lezten Krümel zerfleischt hatten. Auch die Assfresser verschwanden, aber es waren immer mehr als Menschen da. Und er war der letzte der Rasse Mensch und er sollte heute durch die Schwingtür gehen. Und er war froh, dass der Kampf vorbei war, denn diese Aufgabe war schlimmer, als irgendwo mit den anderen zu krepieren.

Er war jetzt fertig, bereit schon lange. Er stand auf, der letzte Dienende und ging gebückt durch die Schwingtür.

 

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