Otlas-rückwärts - Letzte Folge (6)

Die Situation war außer Kontrolle geraten. Man wollte uns ins Bockshorn jagen und wir wussten nicht einmal, wo diese Bockshorn lag. Nein, nun wurden wir richtig böse. Unsere Gegenstrategie konnte daher nur heißen: Aufklärerroulette. Wir setzten alles auf eine Karte und das war die Karte siebenundzwanzig des Strassenverkehrsatlas, es war ein Platz in der Umgebung. Blindwütig fiel unsere Wahl auf Ahrenbök. Dieses Nest im Norden hatte aber auch gar nichts mit unserem Fall und den Beteiligten zu tun. Aber wie heißt die Regel eins der Aufklärerfibel: Es sind immer die Nichtäter, die uns mit ihrer Unschuld in die Irre leiten wollen.

Wie ein Mann verließen wir unser Hauptquartier, wie ein Mann fuhren wir. "Fährst du oder fahr´ ich. Nimm die Hand vom Steuer; wieso bremst du jetzt? Nein, so geht das nicht, setz sich auf den Beifahrersitz."

Wir kontrollierten durch die siebenundzwanzig Straßen Ahrensböks und hatten uns bald restlos verfahren. Wir hielten vor einem Haus, in dem ein älterer Mann seinen Garten pflegte. Genau so einen braven Bürger suchten wir. Wahrscheinlich schlug er auch seine Frau.

"Sie sind verhaftet." "Ich verhafte Sie." Vorbei war´s mit der Ein-Mann-Show, wir sprachen durcheinander und der Mann verstand uns nicht.

"Los, mitkommen," bellte mein Kollege.

"Wenn du bellst," flüsterte ich, "versteht er dich nicht. Nicht alle Landbewohner verstehen Großstadtbellen."

"Meinst du, die bellen hier anders?" wisperte mein Kollege.

"Ja, auf Platt," sagte ich.

Was ich vermeiden wollte, geschah. Die Frau trat aus dem Haus.

"Was machen Sie mit meinem Mann? Tun Sie ihm nichts. Und sprechen Sie vernünftig mit ihm, sonst bekommt er Angst."

"Angst, Angst, jetzt sollte er Angst bekommen?" Ich lachte grausam. "Hatte er Angst, als er vor, lassen Sie mich überlegen, vier bis sechs Wochen in Glückstadt jemanden das Leben gerettet hat, der dann baden ging, gegen die Strömung nach Geesthacht trieb und dort jämmerlich erwachte? Reden Sie nicht von Angst, wir wissen, wer er ist."

"Ich jedenfalls nicht," sagte mein Kollege, und ich war ihm dankbar dafür, dass er das in dieser Situation sagte.

Aufrecht ging der Mann mit uns, nicht ohne seine Frau ordentlich auf die Augen zu hauen. "Pass auf den Garten auf," sagte er noch, bevor die Frau ihn mit dem Spaten k.o.schlug.

Als unser möglich Täter nach sechzehn Wochen Krankenhausaufenthalt, Genesungsurlaub und Kurvor uns saß, erkannten wir nicht wieder und wir fargte uns: Haben wir auch den Richtigen erwischt? Was dann folgte, darauf bin ich nicht besonders stolz. Marter und Folter waren unsere Werkzeuge. Er durfte rauchen, bekam das beste Essen aus unserer Kantine, Schampus bis zum Abwinken, und wenn er träge wurde, haben wir ihm von unserem Geld die besten Huren besorgt.

Jeder Mensch hat sein Limit, so auch er. Schweiß auf der Stirn, rasender Puls, die "Rote Lola" war gerade gegangen, ich weiß, wie das ist, ich war auch schon bei der "Roten Lola", da konnte er nur noch keuchen;" Ja, ich will reden." Ich schaltete das Tonbandgerät ein, da sprudelten die Worte plötzlich aus ihm heraus, so schnell, dass ich vorsichtshalber den Schnellvorlauf einschaltete, damit das Gerät auch alle Wörter mitbekam.

"Ja, ich gebe zu, ich war es nicht. Ich habe niemanden das Leben gerettet, ich würde es auch nicht tun, die Haftbedingungen sind ja grausam hier..." hier stockte er ein wenig, " ich möchte nicht mehr nach Haus." Zack, das saß. Damit hatten wir ihn an der Backe. Später mussten wir ihn doch entlassen, weil wir merkwürdiger Weise kein Geständnis auf dem Tonband fanden.

Unser Leben geht weiter. Unser Beruf zwingt uns, immer auf der Sonnenseite des Schicksals zu gehen; dass wir ständig mit guten Menschen zusammen kommen; dass wir in Harmonie ertrinken. Sisyphus, unser Vorbild, hatte wenigstens eine Aufgabe, an der er sich die Zähne ausbeißen konnte. Wir hingegen lösen unsere Fälle und fallen dem Siechtum zum Opfer. Es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Ich denke, ich werde den Beruf wechseln, oder....meine Unterwäsche? Es gibt immer Alternativen im Leben.