Am See - Liebesballade aus dem Buch "4 und 3"

MONTAGSLYRIK

 

Mein Bild zeigt die Liebe, wie ich sie sehe, schön, verführerisch, (heraus)fordernd, stolz, körperlich, sich selbstlos verschenkend, die stärkste Kraft.    

 

 

 

AM  SEE

Die Ballade vom Finden der wahren Liebe

Es war schon dunkel. Ein greller Lichtpunkt auf der anderen Uferseite warf seine Strahlen über den See und zeichnete scharfe Konturen.

Kaum hatte ich den Wagen gestoppt und war ausgestiegen, hörte ich schon die Stimmen flüstern.

"Warum wird immer er geschickt?"

"Er will sie holen."

"Wie kann er das?"

"Ich bin da," dachte ich.

"Das wissen wir. Du willst sie mitnehmen."

"Diesmal sprechen sie mit mir," dachte ich erstaunt.

"Ist sie hier?" fragte ich daher zaghaft.

"Natürlich ist sie hier. Deswegen bist du doch gekommen."

"Führt mich zu ihr."

"Du wirst sie schon finden. Geh' nur."

Ich ging am See entlang und die Stimmen wisperten über das Wasser.

"Sie wird nicht mitgehen."

"Niemals."

"Er kann sie nicht holen."

Da drang auch schon ihre Stimme in mein Bewusstsein. Ihre tiefe Stimme, die  einen sofort berauschte.

"Du willst mich holen? Wie willst du das schaffen?"

"Ich weiß es nicht," entgegnete ich.

"Er weiß es nicht."

"Er ist nicht der Richtige."

"Er wird es nicht schaffen."

"Schau mich an," sagte sie zu mir.

"Ich darf dich nicht anschauen. Du bist zu schön. Wenn ich dich anschaue, verliere ich meine Kraft."

"Er ist zu schwach."

"Wie will er es schafffen, dass sie mitkommt?"

"Er hat nicht genug Kraft."

"Er ist nicht der Richtige."

"Komm' zu mir." Ich ging auf sie zu und sah sie an, ihren knochigen Schädel, ihre dunklen Augen, ihren roten Mund. Sie war wunderschön. Ihre schwarzen Haare, die bei diesem Licht einen bläulichen Schimmer hatten, flossen an dem blassen, überlangen, gestreckten Körper herab und ihre dünnen Arme streckten sich mir entgegen. Ich lehnte mich an sie und ihre Arme umschlossen mich. Sie trug nur ihren schwarzen, offenen Umhang und mein Kopf lag an ihren flachen Brüsten.

"Warum willst du mich holen? Was habe ich getan? Ich habe nur geliebt."

"Ja, sie hat nur geliebt."

"Sie trägt keine Schuld."

"Sie wird nicht mitgehen."

Es flüsterte um mich herum.

"Ja, du hast nur geliebt," raunte ich. "Trotzdem hast du große Schuld auf dich geladen."

"Welche Schuld kann das sein, wenn ich nur geliebt habe?"

"Sag, welche Schuld kann das sein?"

"Sie hat nur geliebt,"

"Wer soll darüber richten?"

Das Wispern wurde härter.

"Ich kann das nicht beurteilen. Ich bin nicht der Richter. Ich soll sie nur holen."  Ich hoffte, dass meine Stimme fest war.

"Er soll sie nur holen."

"Er kann das nicht beurteilen."

"Er ist nicht der Richter."

"Komm'," sagte ich zu ihr.

"Ja, ich werde mit dir gehen," und wir beide verließen den See.

Natürlich konnten sie sie nicht verurteilen. Schon als sie den Saal betrat, wussten sie es. Sie war die Liebe, schön und betörend und was immer sie getan hatte, welche Schuld sie auch auf sich geladen hat, kein Gericht würde je ein Urteil über sie fällen.

Als sie wieder frei war, ahnte ich, dass ich sie wahrscheinlich irgendwann wieder werde suchen müssen, denn diesen Auftrag bekam ich immer.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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